„Die eigentlichen Probleme haben nicht wir…sondern die Flüchtlinge“, RNZ vom 06.11.2014

Die eigentlichen Probleme haben nicht wir…sondern die Flüchtlinge – Podiumsdiskussion mit Ministerin Theresia Bauer

Von Arndt Krödel, erschienen in der RNZ am 06. November 2014

Flüchtlinge kommen aus den Krisengebieten zu uns und haben Schreckliches erlebt. Tun wir genügend für sie, um sie menschenwürdig unterzubringen und ihnen weitere Wege zu ebnen? Es geht um die Übernahme von Verantwortung für Menschen, die ohne Schuld in gewaltsame Konflikte geraten und bei uns gestrandet sind. Wie es gelingen kann, politische Maßnahmen mit zivilgesellschaftlichem Engagement erfolgreich zusammenzuführen, diskutierte eine Podiumsrunde mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) in Heidelberg. Dabei machte die Politikerin deutlich, dass man bei allen Debatten eines nie vergessen sollte: Die eigentlichen Probleme haben die Flüchtlinge, nicht wir.

Den kürzlich vom Bundesrat unter Mitwirkung des grün-rot regierten Baden-Württemberg gebilligten „Asylkompromiss“ – Erleichterungen vor allem bei der sogenannten Residenzpflicht und der Möglichkeit der Arbeitsaufnahme, aber Einstufung der drei Balkanländer Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ – verteidigte Bauer als „Abkehr von der alten Flüchtlingspolitik, die im Geiste der Abschreckung gestaltet war“. Die Integration von Flüchtlingen müsse geprägt sein von der Idee, den Menschen möglichst schnell – sofern sie eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive haben – die Möglichkeit zu geben, auf eigenen Füßen zu stehen.

Die Landesregierung baut nach ihren Worten die Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge aus und habe dafür zusätzliche Stellen ausgewiesen. Der Aufenthalt dort sollte möglichst kurz – maximal drei Monate – bemessen sein. Konsequenter müssten die Bildungsangebote angegangen werden, forderte die Ministerin. Das Land habe bereits 200 zusätzliche Deputate für Sprachunterricht und Vorbereitungsklassen bewilligt.

Die Herausforderungen, vor denen Baden-Württemberg gegenwärtig steht, belegte Prof. Wolf-Dietrich Hammann vom Landesintegrationsministerium mit Zahlen: Während 2007 etwa 1500 Flüchtlinge kamen, waren es allein im September dieses Jahres 6000. Im Moment seien wieder 2400 Erstaufnahmeplätze frei, die Kapazitäten sollen aber gesteigert werden, bei klaren Vorstellungen im Detail: „Unser Ziel ist sieben Quadratmeter pro Flüchtling“, erläuterte Hammann. Nach der Erstaufnahme gehe es um die Integration der Flüchtlinge, wobei man die Schaffung von Sprachkompetenz, Bildungs- und frühzeitigen Arbeitsmöglichkeiten anstrebe.

Von einem sehr positiven Aspekt konnte Gudrun Sidrassi-Harth vom Asyl-Arbeitskreis Heidelberg berichten: „Wir erleben im Moment eine ungeheuer große Hilfsbereitschaft und ein Interesse der Bevölkerung“. Ihre Mitarbeiter seien allerdings gar nicht in der Lage, alle Anfragen und Angebote aufzunehmen. Seit 2001 ist der Arbeitskreis im Auftrag der Stadt für die Organisation und Koordination der Flüchtlingsarbeit verantwortlich. Die sprachliche Verständigung der Flüchtlinge ist nach Sidrassi-Harths Worten eine der größten Herausforderungen: „Wir brauchen dringend zuverlässige Sprachmittler“. Für Arabisch stünden zum Beispiel momentan nur zwei oder drei zur Verfügung. Asylsuchende haben keinen Anspruch auf einen Deutschkurs, bevor nicht ihr Asylantrag entschieden ist. Der Arbeitskreis bietet einmal pro Woche entsprechenden Unterricht an, „aber wir stoßen hier an unsere Grenzen“, stellte Sidrassi-Harth fest.

Aus dem Publikum kam die Forderung nach einem städtischen Konzept für die Flüchtlings- und Sozialarbeit, das Professionalität mit dem Ehrenamt verbinde. Theresia Bauer unterstrich pragmatische Lösungen von Problemen: „Wir müssen mit unseren Verwaltungen eine andere Kultur einüben. Gefragt ist eine Ermöglichungskultur, nicht die Verhinderungskultur“.

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